Ihre Ratsanfrage RA-242/2020 – Wohnprojekt Grünaer Hof
Sehr geehrte Frau Rabe,
Ihre an die Oberbürgermeisterin gerichtete Anfrage beantworte ich wie folgt:
- Das Sozialamt hat seine Suche nach einem Objekt und einem Träger für das Projekt wiederholt mit dem Auftrag des Stadtrates durch die Vorlagen BA-010/2018 und I-047/2018, beide aus dem Jahr 2018 legitimiert. Aus der Präsentation des Sozialamtes vom 15.06.2020 ging jedoch hervor, dass die Suche nach einem Träger bereits im Dezember 2016 begonnen wurde und die Suche nach einem geeigneten Objekt im Juni 2017, als es noch gar keinen
Auftrag durch den Stadtrat gab.
Wie ist diese Unregelmäßigkeit zu erklären?
Hat das Sozialamt hier seine Kompetenzen überschritten?
Sozialplanung ist eine Aufgabe des Sozialamtes. Hier gilt es Problemlagen in der Stadt Chemnitz zu erkennen, zu analysieren und bedarfsorientierte Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung
zu konzipieren, (finanziell) zu planen und umzusetzen. Dies sind Prozesse, die meist einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.
Bezogen auf das Wohnprojekt waren es verschiedene Perspektiven aus denen der ungedeckte Bedarf bekannt wurde. Wie in der Präsentation ausgeführt wurde, waren das z. B. das Klinikum
Chemnitz, gesetzlich bestellte Betreuer und auch Pflegeheime, die an das Sozialamt herangetreten sind.
Im Rahmen der Fachaufgaben des Sozialamtes und der damit verbundenen Durchsetzung der kommunalen Unterbringungspflicht gab es hier ebenso die Feststellung, dass die Anzahl der Personen zunimmt, für die es kein adäquates Wohn- und Betreuungsangebot in Chemnitz gibt. Der Beschlussantrag des Stadtrates hat zeitaktuell den sozialplanerischen Trend aufgenommen und bildete damit Grundlage für die weitere planerische Umsetzung. Auch im Hinblick auf die Haushaltsplanung für die Jahre ab 2019.
In der Stellungnahme zum Beschlussantrag BA-010/2018 vom 08.01.2018 sowie in der Informationsvorlage I-047/2018 wurde die Zeitabfolge dargelegt. - Existieren in den bereits abgeschlossenen Verträgen, namentlich z.B. dem Mietvertrag zwischen dem Besitzer/Betreiber des Grünaer Hofes und dem Träger sowie dem Vertrag zwischen Sozialamt und Träger Rücktrittsklauseln und wenn ja, wie sind diese formuliert?
In dem zwischen dem Träger und dem Vermieter geschlossenen Mietvertrag ist die außerordentliche Kündigung wie folgt geregelt:
Für die außerordentliche Kündigung gelten die gesetzlichen Kündigungsgründe. Auch sie bedarf der Schriftform.
Wird das Mietverhältnis vom Vermieter aus wichtigem Grunde gekündigt, so haftet der Mieter für den Schaden, der dem Vermieter durch das die Kündigung begründende vertragswidrige Verhalten entstanden ist. Insbesondere ist dem Vermieter der bis zum Ablauf der vereinbarten Mietzeit durch leerstehende Räume bzw. Mindermieteinnahmen entstehende Mietausfall zu ersetzen. Die Haftung endet spätestens ein Jahr nach Auszug.
In der zwischen dem Träger und dem Sozialamt geschlossenen Vereinbarung nach § 75 SGB XII ist geregelt:
Die Vereinbarung kann von beiden Vertragspartnern jeweils zum Ende eines Monats mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden.
Die außerordentliche Kündigung der Vereinbarungen richtet sich nach § 78 SGB XII (neu: § 79a SGB XII). - In der Präsentation wurde davon gesprochen, dass im Haus selbst ein Trinkverbot für die Bewohner herrschen wird, auf dem Gelände hingegen ein geschützter Trinkplatz eingerichtet werden soll, an welchem den Bewohnern uneingeschränkt der Konsum von
Alkohol gestattet sein soll. Der Grünaer Hof verfügt jedoch kaum über einen Außenbereich mit Ausnahme eines kleinen Parkplatzes und einer Dachterrasse mit ca. 80 m², deren Eignung als geschützter Trinkbereich für 30 Personen sehr fraglich ist. Wenn der
Alkoholkonsum auf dieser Dachterrasse stattfinden soll, ist durch die erhöhte Lage mit verstärkter Lärmbelästigung durch die alkoholisierten Bewohner für die Anlieger zu rechnen, deren Gärten direkt an das Objekt angrenzen.
Wo soll der Trinkplatz also eingerichtet werden?
Der Trinkplatz soll auf der Dachterrasse eingerichtet werden. Es handelt sich dabei um einen überdachten Platz als Wetterschutz mit einem Tisch und Stühlen im Rahmen einer Kapazität für ca. fünf Personen. Für diesen Platz gibt es Verhaltensregeln, deren Einhaltung durch die Mitarbeiter des Hauses kontrolliert wird. - In der Präsentation wurde von einem Zaun gesprochen, der auf der Schulgasse errichtet werden soll, um die Bewohner des Hauses von den Grundschülern, die sich auf ihrem Schulweg befinden, zu trennen.
Wurde geprüft, ob der Zaun so errichtet werden kann, dass die Feuerwehrzufahrt für die Anlieger der Schulgasse gewahrt bleibt?
Der Eigentümer teilt hierzu mit, dass die Feuerwehrzufahrt gesichert
bleibt. - Gemäß Information durch die Heim gGmbH Chemnitz wurde das seit zwei Jahren leer stehende Flüchtlingsheim auf der Friedrich-Hähnel-Straße 9 vor rund 2 Jahren seitens des Sozialamtes und des Trägers gemeinsam besichtigt und als ungeeignet für das Projekt befunden, obwohl es einen über großen Außenbereich verfügt, der genügend Raum für einen geschützten Trinkplatz und auch weitere Aktivitäten bieten würde, und darüber hinaus über wesentlich mehr Abstand zu umliegenden Wohngebäuden verfügt, als der Grünaer Hof.
Wie ist die Einstufung als ungeeignet also zu begründen?
Das Gebäude ist ungeeignet, da es insgesamt zu wenige Räume hat und eine strikte Trennung von Männern und Frauen nicht möglich ist. Außerdem grenzt eine Kindertagesstätte direkt an das Grundstück an. - Als eines der wichtigsten Kriterien, das in den Augen des Sozialamtes für den Standort in Grüna sprach, wurde angegeben, dass es in Grüna ein starkes Gemeinwesen und eine sozial stabile Gemeinschaft gibt, die die Bewohner z.B. in Vereine und ähnliche Strukturen bestens integrieren kann. Nun ist jedoch am 15.06.2020 sehr deutlich geworden, dass die Bürger von Grüna diesen Standort vehement ablehnen.
Sollten sich die Grünaer weigern, die Bewohner in ihre soziale Gemeinschaft und in Vereine und Freizeitaktivitäten zu integrieren, müsste das Sozialamt dann nicht einräumen, dass dessen wichtigstes Argument dann zu einem starken Gegenargument verkehrt wird und ein stures Beharren auf den Standort trotz der vehementen Ablehnung der Grünaer nicht nur auf deren Rücken ausgetragen würde, sondern ebenfalls auf dem Rücken der zukünftigen Bewohner, die dann eben doch keine Chancen auf Integration haben?
Im Vordergrund allen Handelns steht das Ziel einer grundsätzlichen Akzeptanz des Wohnprojektes und die Toleranz gegenüber den Menschen, die in dem Haus einen Ort zum Ankommen und
Leben finden sollen. Die Bewohner müssen sich zuvorderst im Haus und in der Umgebung zurechtfinden, bevor eine Integration nach außen folgen kann. Konzeptionell ist damit verbunden, den Menschen ein würdiges Überleben zu sichern, die Trinkmenge zu reduzieren und alkoholfreie Zeiten auszubauen, bis hin zu einer möglichen Abstinenz.
Alles was dabei hilft, diese Ziele in der Gesamtperspektive zu erreichen ist gut. Hierfür ist eine starke soziale Gemeinschaft, ein solidarisches Einstehen füreinander und ein friedliches
Miteinander in der Ortschaft von großem Vorteil.
Die Erfahrungen des Trägers belegen u. a., dass eine Beteiligung und Integration zum Beispiel in Vereinen oder bei Angeboten sehr wünschenswert ist und in Einzelfällen auch gut angenommen
wird. Dieser Prozess braucht Zeit und gelingt nicht von heute auf morgen.
Auch die Chemnitzer, besonders natürlich im Ortsteil Grüna werden Zeit und Gelegenheit brauchen, sich vor Ort von der praktischen Umsetzung des Projektes überzeugen zu können.
Ängste und Sorgen sind berechtigt und auch ernst zu nehmen. Wir möchten gemeinsam mit de Träger Ansprechpartner sein, Fragen beantworten und versuchen Hürden gemeinsam zu überwinden.
Eine Segregation von Menschen in nur ausgewählte Stadtteile/Ortschaftsteile ist im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer Stadt kein adäquates Mittel und hier im Besonderen auch dem Ziel des Wohnprojektes nicht zuträglich
.
Freundliche Grüße
Ralph Burghart
Bürgermeister
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